Moritz Schlick an Albert Einstein

Rostock, den 22. April 1920

Orléans-Str. 23

Lieber, hochverehrter Herr Professor,

gestern kam Ihre freundliche Karte. Recht herzlichen Dank dafür! Heute wollte ich Ihnen ohnehin schreiben; und zwarwie sollte es anders sein!wieder einen Brief des Dankes. Herr Bröse, der englische Übersetzer der Broschüre über Raum und Zeit, schrieb mir vor kurzem, er wolle den Gewinn, der ihm aus dem Verkauf des Büchleins erwachsen würde, mit mir teilen, und er verhehlte nicht, daß die Anregung zu diesem hocherzigen Anerbieten von Ihnen ausgegangen sei. Ich war tief gerührt. Könnte ich Ihnen doch die Hand drücken! Warum muß das öffentliche Leben so kläglich sein in einer Welt, wo es privatim so viel echte Vornehmheit und Güte gibt! Ich habe Herrn Br. geantwortet, daß ich in Anbetracht der außergewöhnlichen Lebensverhältnisse in Deutschland seinen Vorschlag gerne annehme und daß ich die etwaigen Einnahmen in England gern in erster Linie zur Beschaffung von ausländischer Literatur für mich verwendet sehen möchte, die mir sonst so gut wie unerreichbar sei. Es wird Sie gewiß freuen zu erfahren, wie freudig Herr Br. auf Ihre Anregung eingegangen ist und danach gehandelt hat.

Vor kurzem las ich die Abhandlung von Helge Holst über die „kausale Relativitätsforderung“ – was für ein kümmerliches Geschreibsel! In einem Aufsatz über Kausalität (1) hatte ich versucht, mich über das gleiche Thema zu äußern; ich will ihn aber lieber erst schicken, wenn er gedruckt ist (in den „Naturwissenschaften“), denn mit Manuskripten sind Sie sicherlich überhäuft. H. Dingler in München hat ein Buch über die „Grundlagen der Physik“ geschrieben, in das ich mit einer gewissen Erschütterung hineingesehen habe. Ein früher vielversprechender Geist scheint hier (durch den Krieg?) völlig zerrüttet zu sein.

Aus Zürich schrieb mir Edgar Meyer, daß Medicus leider gar keine Neigung zeige, von dort wegzugehen, wenn er auch eine endgültige Entscheidung offiziell noch nicht bekanntgegeben habe. Schade!

Meine Frau und ich laden Sie herzlichst ein, uns im Sommer zu besuchen, wenn Sie erholungsbedürftig sind. Was für eine Freude wäre es für uns! Meine Familie läßt Sie bestens grüßen. Mit der Bitte um freundliche Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin begrüßt Sie Ihr dankbarer

M. Schlick