Moritz Schlick an Albert Einstein

Rostock, d. 15. 10. 19

Orléansstr. 23

Hochverehrter Herr Professor,

In diesen Tagen erhalten Sie eine Einladung der Rostocker Universität zur Teilnahme am fünfhundertjährigen Jubiläum, und Sie werden daraus ersehen, dass der Universität aus mehr als einem Grunde daran liegt, daß Sie die Feier durch Ihre Anwesenheit ehren. Nun hoffe ich zwar zuversichtlich, daß Sie die Universität ohnehin nicht durch Ihre Absage enttäuschen würden, aber ich möchte doch nicht versäumen, meine Bitten mit denen der Fakultät zu vereinen und Ihnen außerdem noch zu sagen, wie sehr ich mich freuen würde, wenn Sie in dem erhofften Falle Ihres Kommens in meinem Hause Wohnung nehmen würden. Ich habe mit dem Gäste-Ausschuss für das Jubiläum vereinbart, daß ich Ihnen ein Zimmer in meinem Hause zur Verfügung stelle, und ich hoffe von ganzem Herzen, daß Sie von diesem Anerbieten Gebrauch machen werden. Die Fragen der Wohnung und Verpflegung sind ja in dieser Zeit im allgemeinen schwer zu lösen, aber so brauchen Sie sich um diese Fragen nicht im geringsten zu kümmern. Wenn wir Ihnen vielleicht auch nicht alles so bieten können, wie es in der Zeit vorm Krieg möglich gewesen wäre, so wären Sie in unserm Haus doch manchen Unbequemlichkeiten enthoben, die bei einem Hotelaufenthalt unvermeidlich sind. Auf die für Ihr Magenleiden etwa erforderliche besondere Diät können wir leicht Rücksicht nehmen; Weissbrot ist leicht zu beschaffen. Ich bitte Sie mir zu glauben, dass wir Sie ohne alle Mühe im Hause aufnehmen können, und jede Mühe wäre ja auch verschwindend im Vergleich zu der Freude und Ehre, die Ihre Anwesenheit unter meinem Dach für mich und meine Familie bedeuten würde. Ich hoffe, dass wir zur gleichen Zeit noch einen anderen verehrten Gast in einem zweiten Zimmer bei uns haben werden, nämlich Herrn Planck. Auch er erhält in diesen Tagen aus den gleichen Gründen eine Einladung von der Fakultät, und soeben habe ich einige Zeilen an ihn geschrieben, ihn um seine Zusage zu bitten.

Vor einigen Tagen erhielt ich aus dem Auslande Andeutungen über die herrlichen Ergebnisse, die bei den Beobachtungen der Sonnenfinsternis vom 29. Mai erzielt worden sein sollen. Die Mitteilungen wurden zwar als vertraulich bezeichnet, aber da man Ihnen ohne Zweifel auch gleich Nachricht gegeben hat, so kann ich mir in meiner Freude nicht versagen, Ihnen von ganzem Herzen Glück zu wünschen.

Noch einmal bitte ich Sie herzlichst, die Universität und mich durch eine zustimmende Antwort zu erfreuen, und begrüsse Sie in größter Hochschätzung als Ihr aufrichtig ergebener

M. Schlick