Albert Einstein an Moritz Schlick

Professor Dr. Albert Einstein

Wittelsbacherstr. 13.

Dienstag

Dienstag [14. XII. 15] (note)

Hochgeehrter Herr Kollege!

Ich habe gestern Ihre Abhandlung (note) erhalten und bereits vollkommen durchstudiert. Sie gehört zu dem Besten, was bisher über Relativität geschrieben worden ist. Von philosophischer Seite scheint überhaupt nichts annähernd so Klares über den Gegenstand geschrieben zu sein. Dabei beherrschen Sie den Gegenstand materiell vollkommen. Auszusetzen habe ich an Ihren Darlegungen nichts.

Das Verhältnis der Relativitätstheorie zur Lorentz’schen Theorie ist ausgezeichnet dargelegt, wahrhaft meisterhaft ihr Verhältnis zur Lehre Kants und seiner Nachfolger. Das Vertrauen auf die „apodiktische Gewissheit“ der „synthetischen Urteile a priori“ wird schwer erschüttert durch die Erkenntnis der Ungültigkeit auch nur eines einzigen dieser Urteile. Sehr richtig sind auch Ihre Ausführungen darüber, dass der Positivismus die Rel.theorie nahe legt, ohne sie indessen zu fordern. Auch darin haben Sie richtig gesehen, dass diese Denkrichtung von grossem Einfluss auf meine Bestrebungen gewesen ist, und zwar E. Mach und noch viel mehr Hume, dessen Traktat über den Verstand ich kurz vor Auffindung der Relativitätstheorie mit Eifer und Bewunderung studierte. Es ist sehr gut möglich, dass ich ohne diese philosophischen Studien nicht auf die Lösung gekommen wäre.

Auch Ihre Bemerkungen über die allgemeine Relativitätstheorie sind ganz richtig, soweit diese Theorie bisher überhaupt richtig war. Das neu Gefundene ist das Resultat, dass es eine mit allen bisherigen Erfahrungen vereinbare Theorie gibt, deren Gleichungen beliebigen Transfor­matio­nen der Raum-Zeitvariablen gegenüber kovariant sind. (note) Die Thatsache, dass man die Gleichun­gen der Theorie a posteriori dadurch vereinfachen kann, dass man das Bezugssystem so wählt, dass die Determinantengleichung

| guv | = –1

erfüllt ist, ist erkenntnistheoretisch ohne Bedeutung. Mit der empirischen Kontrollierbarkeit der Theorie steht es nicht ganz so traurig, wie Sie angeben. Die Theorie erklärt die von Leverrier aufgefundene Torkelbewegung des Merkur quantitativ. Der von der Theorie geforderte Einfluss des Gravitationspotentials auf die Farbe des emittierten Lichts wurde durch die Astronomie bereits qualitativ bestätigt (Freundlich). Auch besteht gute Aussicht auf Prüfung des Resultates betr. die Krümmung der Lichtstrahlen durch das Schwerefeld.

Indem ich Sie bitte, mich zu besuchen, wenn Sie Ihr Weg nach Berlin führt, verbl. ich mit bestem Gruss

Ihr ganz ergebener

A. Einstein.