Moritz Schlick an Albert Einstein

Wien IV

Prinz-Eugen-Str. 68

9. Mai 1933

Lieber, hochverehrter Herr Einstein,

Was ist dies für eine Zeit! Die Lektüre der Zeitungen während der letzten Zeit ist eine fürchterliche Qual gewesen; ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie die Ereignisse mich aufgeregt und erschüttert haben. Ich schreibe daher auch weiter gar nichts; doch möchte ich gar zu gerne wissen, ob es Ihnen und Ihrer Gattin gut geht. Unter welcher Adresse sind Sie jetzt am besten zu erreichen?

Der äussere Anlass dieses Schreibens ist die Notlage eines Freundes in Deutschland, dessen Söhne wegen ihrer Abstammung keine Möglichkeit haben, ihr Studium in Deutschland zu beenden. Sie sind Mediziner und haben, glaube ich, noch ein oder zwei Semester zu absolvieren. Wie ich höre, stehen Sie und Langevin an der Spitze eines Comitée in Paris, das deutschen Emigranten jüdischer Abkunft Hilfe leisten möchte. Ich weiss nichts Näheres darüber, nehme aber an, daß das Comité sich auch damit befasst, seinen Schützlingen Studienerleichterungen zu verschaffen, sei es durch Befreiung von Gebühren, sei es durch finanzielle Beihilfen. Mein Freund, der es vermeiden möchte, aus Deutschland direkt nach Paris zu schreiben, da er als Entlassener auf seine Staatspension angewiesen ist und sehr vorsichtig sein muss, hat mich gebeten, Erkundigungen einzuziehen, und so erlaube ich mir denn, mich an Sie wenden um Ihnen zu sagen, dass ich im Namen meines Freundes ausserordentlich dankbar sein würde, wenn Sie den Sekretär des Comités veranlassen würden, mir mit ein paar Zeilen Auskunft darüber zu geben, ob wirklich die Möglichkeit besteht, dass aus Deutschland vertriebene junge Leute ihre medizinischen Studien in Paris vollenden und dort ihren Doctor machen können. Vielleicht gibt es irgendwelche gedruckten Richtlinien, die mir der Sekretär einfach zusenden könnte. Ich möchte nicht, dass Sie sich in dieser Angelegenheit irgendwelche Mühe machen, denn ich weiss, wie ganz ausserordentlich Sie jetzt in der fremden Umgebung in Anspruch genommen sein müssen.

Von anderen Dingen zu schreiben, die mit der unerfreulichen Gegenwart nichts zu tun haben, möchte ich mir für ruhigere Zeiten aufsparen. Ich hoffe von Herzen, dass Sie mit den Ihrigen in guter Gesundheit sind bleibe mit den besten Grüssen und Wünschen Ihr

dankbar ergebener

M. Schlick