Moritz Schlick an Albert Einstein

Rostock, den 29. Juni 1920

Lieber, hochverehrter Herr Professor,

die Postverbindung von Kopenhagen nach Mecklenburg hat schweren Tadel verdient. Heute früh kam die freundliche Karte Ihres Frl. Tochter mit der Mitteilung, dass Sie am 28.ten unseren Bahnhof passieren würden! Fast drei Tage war die Karte auf der kurzen Strecke unterwegs. Vergeblich suche ich in meiner Philosophie nach einem Trost über das dumme Zuspät, dem so manche grosse Freude im Leben zum Opfer fällt. Wie wertvoll wären mir selbst die kurzen Minuten auf dem Bahnhof gewesenSie können sich mein Bedauern ausmalen! Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass Ihr Weg Sie vielleicht in diesem Jahr doch noch einmal nach Rostock führtjedenfalls bitten wir Sie recht herzlich, es doch so einzurichten, wenn es irgend sich ermöglichen lässt. – Nicht nur für die Karte Ihrer Tochter, auch für eine Nachricht von Ihrer Frau Gemahlin sagen wir schönen Dank. Ihre Gattin war so freundlich, meiner Frau einige Zeilen zu schreiben und darin Ihre Reisepläne auseinanderzusetzen. Nachträglich sehe ich, dass wir sie doch nicht ganz richtig verstanden haben, und wir machten uns schon Hoffnung, Sie auf der Rückreise vielleicht alle drei bei uns begrüssen zu dürfen und schrieben auch in diesem Sinn an ihre Frau Gemahlin. Wie schade, dass Sie auf ihren Reisen so eilen mussten. Hoffentlich sind die Fahrten Ihrer Gesundheit nicht unzuträglich; der Aufenthalt im Ausland selbst kann ihr freilich wohl nur förderlich sein. Bedeutet eigentlich die Professur in Leyden eine lange, oder immer nur eine vorübergehende Abwesenheit von Berlin?

Ich schwelge jetzt (abgesehen von meinen Spaziergängen in der Ethik) in dem neuen Buche von Born, von dem er mir freundlicherweise die Korrekturbogen zusenden lässt. Ich finde es wirklich glänzend und glaube sicher, dass er den richtigen Ton angeschlagen hat, um auch einer Reihe meiner verehrten Fachkollegen das Verständnis für die Relativitätstheorie zu eröffnen. – Mit den herzlichsten Wünschen und mit der Bitte um Empfehlungen an Ihre verehrte Frau Gemahlin

begrüßt Sie (auch im Namen meiner Familie) Ihr dankbarer

M. Schlick