Moritz Schlick an Albert Einstein

Rostock, 10. 5. 20.

Orléans-Str. 23

Lieber, verehrtester Herr Professor,

Heute morgen erhielt ich einige Exemplare der englischen Ausgabe von „Raum und Zeit“. Vermutlich hat der Übersetzer auch Ihnen einen Abdruck geschickt oder tut es noch; sollte es aber nicht der Fall sein, so bitte ich Sie, es mich freundlichst wissen zu lassenich will Ihnen dann herzlich gerne eins von meinen Exemplaren zusenden. Die Übersetzung präsentiert sich infolge der Friedens-Ausstattung viel schöner als das Original.

Durch eine kleine Indiskretion habe ich erfahren, dass von Giessen eine Anfrage über meine Persönlichkeit hierher gelangt ist. Es handelt sich offenbar um den Lehrstuhl, den Medicus einnehmen sollte. Ich glaube nicht, dass viel Aussicht für mich besteht, an eine günstige Stelle der Liste gesetzt zu werden. Aber jedenfalls geht aus der Sache hervor, dass Medicus sich endgültig entschlossen haben muss, in Zürich zu bleiben. Dort muss es schön werden, nachdem Debye den Zürcher Ruf angenommen hat.

Hier hat das Sommersemester unter erfreulicher Beteiligung der Studenten angefangen, aber der Lehrkörper wird von Zuckungen erschüttert, eine Folge des Märzputsches, bei dem, wie es scheint, einige sich ver„kappt“ haben.

Ich bitte um Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin und bleibe mit den herzlichsten Grüßen und Wünschen für Ihre Gesundheit, denen auch Frau und Kinder sich anschliessen,

Ihr dankbarer

M. Schlick