Moritz Schlick an Albert Einstein

Rostock, d. 19. Dec. 19

Orléansstr. 23

Lieber, hochverehrter Herr Professor,

Durch Ihren Brief haben Sie uns eine große Freude gemacht und wir danken Ihnen recht herzlich dafür. Ihre Freundlichkeit überschätzt aber bei weitem, was wir, oder vielmehr meine Frau, zur Behaglichkeit Ihres Rostocker Aufenthaltes etwa beigetragen haben. Ich darf nur wiederholen, daß unsere Familie sich gar keine Opfer auferlegt hat, die als solche auch nur im geringsten wären empfunden worden. Uns beseelte kein anderes Gefühl als reine Freude über Ihr Kommen und an Ihrer Gegenwart, und die paar Festtage stehen so hell und warm in unserer Erinnerung, daß wir überzeugt sind, die Schuld der Dankbarkeit ist viel größer auf unserer Seite. Es wäre schön, wenn dieser Besuch nur das erste Glied einer Reihe gewesen wäre, und wir hoffen von Herzen, daß Sie später recht oft ein Bedürfnis nach Erholung in mecklenburgischer Kleinstadtruhe empfinden möchten. Wie sollen Sie uns dann willkommen sein!

Nun danke ich Ihnen noch recht sehr für die Zusendung des Drillschen Ergusses (1) in der Frankfurter Zeitung! Er ist in der Tat nur komisch, und ich konnte mich nicht darüber ärgern. Andererseits wurde ich auch nicht in die nötige launige Stimmung versetzt, um recht spassig auf den Artikel antworten zu können, und so folge ich denn gerne ihrem Rat, der sicherlich der beste ist, und versuche nicht, Herrn Drill und seinen Beweis des Energieprinzips aus der Substantialität der Wurst zu widerlegen. An Born habe ich auch in diesem Sinne geschrieben, und ich denke, er wird damit einverstanden sein. Das Weltbild der Relativitätstheorie und Borns Darstellung davon gegen die Philosophie des Herrn Drill zu verteidigen, ist ja gewiss nicht erforderlich. Dem urteilsfähigen Leser wird jene PhilosophieWurst sein; schon die Geschmacklosigkeit der Darstellung kann ihm zeigen, was davon zu halten ist.

Jetzt habe ich noch einige Bitten. Erstens möchte ich Sie fragen, ob Ihnen an der 2. Auflage von „Raum und Zeit“ noch irgendwelche verbesserungsbedürftigen Stellen aufgefallen sind. Die Auflage ist nämlich vergriffen, und ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar für etwaige Fingerzeige und Wünsche, die der 3. Auflage, für die ich das Manuskript möglichst bald abliefern soll, zu gute kommen könnten.

Die zweite Bitte betrifft einen Heidelberger Professor, namens Olschki, einen Freund des Archäologen Pagenstecher, den Sie bei uns kennen lernten. Olschki reist morgen nach Berlin, und da er eine ganz außerordentliche Verehrung für Sie hegt, möchte er um die Erlaubnis bitten, Ihnen einen Besuch abstatten zu dürfen. Pagenstechers baten mich nun, Ihnen zu schreiben, wenn es Ihre Zeit erlaubt, dem Manne einige Minuten zu widmen, so möchten Sie ihn empfangen und ihn nicht zurückweisen, wenn er sich anmeldet. Er ist Romanist und die Beschäftigung mit den Ideen Galilei’s, Leonardo da Vinci’s etc, deren historische Erforschung sein Spezialgebiet darstellt, hat bei ihm ein glühendes Interesse für die Relativitätstheorie erweckt, ihn seit einiger Zeit zu mathematischen Studien veranlasst und ihn mit höchster Begeisterung für Sie erfüllt. Ich habe ihn auch einmal persönlich kennen gelernt, und zwar als einen sehr netten Menschen, und unterstütze daher gern die Bitte unserer Freunde. –

Meine Frau und meine beiden Kinder bitten mich, Sie recht herzlich zu grüßen. Ich schließe mich Ihnen an mit der Bitte um freundliche Empfehlung an Ihre Frau Gemahlin und bleibe Ihr Ihnen in herzlichster Verehrung und Dankbarkeit ergebener

M. Schlick

P.S. Ich bin recht neugierig auf das Ergebnis Ihrer Rechnungen über die Sternhaufen. Liegen schon Resultate vor. – Noch eine Frage. In der Zeitung las ich über Ihre Clarté-Versammlung. Sollte man nicht vielleicht versuchen, hier an der Universität eine Ortsgruppe zu gründen? und wie würde man das (2)