Albert Einstein an Moritz Schlick

1. XII. 19

Lieber Herr Schlick!

Mit Freude gedenke ich der rührenden Sorgfalt, mit der Sie und Ihre heilige Barbara mich während dieser Festtage gehegt und gepflegt haben. Dabei weiss ich noch, dass diese Tage mit warmen Zimmern und üppiger Schlemmerei nicht eine freundliche Geste sondern eine Kraftleistung, ja eine entsagungsvolle Heldenthat bedeuten. Denn jetzt sitzen Sie wieder um den einzigen Wärme spendenden Ofen und die Hausfrau späht sorgenvoll aus nach dem Brot für die nächsten Tage und das Mehl ist bitter, ohne dass die Maus satt ist. Es waren schöne Tage, die ich bei Ihnen verbringen durfte, kaum beeinträchtigt durch den feierlichen Exzess der alma mater und die rednerischen Heldenthaten ihrer Söhne.

Die Reise ging ohne Hindernis vonstatten. Herr S. war liebenswürdig, hat aber ausser etwas politischer Routine nichts in seinem Kopf. Immerhin mag er recht damit gehabt haben, dass dies Fest zur Folge haben wird, dass den Rostocker Professoren der Brotkorb höher gehängt werden wird. Er ist davon überzeugt, dass eine konservative Mehrheit nicht mehr eintreten könne, sondern nur allenfalls ein Anwachsen der konservativen Minderheit.

Hier habe ich alles in Ordnung vorgefunden, bin mit Mühe aber auch mit Glück vom Bahnhof nachhause gekommen und habe dort mehrere dickleibige Manuskripte zur Begutachtung vorgefunden und eine solche Menge sonstiger Pflichten, dass ich nicht restlos zu beneiden bin. Gestern abend war ich bei einer Besprechung von Sachverständigen über die wirtschaftliche Lage, in welcher ein allmählicher aber sicherer völliger Zusammenbruch der Wirtschaft prophezeit wurde. Die Differenz gegenüber Österreich ist lediglich eine zeitliche. Ich referiere nur; selber habe ich nicht die fürs Prophezeien nötige Übersicht, die andern wahrscheinlich auch nicht. Immerhin war der Pessimismus allen gemeinsam. Die Tonart war: vor einem Jahr hätte man dieses oder jenes machen können, jetzt aber allerdings

Mit herzlichem Dank an Sie und Ihre freundliche und fürsorgliche Frau und Grüssen an Ihre Kleinen

Ihr

Einstein.

Gestern besuchte ich Planck, ohne bei seinem Anblick die Thränen zurückhalten zu können. Er war beherrscht und gefasstein wahrhaft grosser und ausgezeichneter Mensch. Stumpfs Abhandlung von der psychisch-physisch gemischten Kausalkette habe ich mit Verwunderung gelesen. Ich werde mich seiner Meinung anschliessen, wenn gezeigt ist, dass einer durch blosses Wollen sein Gewicht ändern kann!