Albert Einstein an Moritz Schlick

21. V. 17.

Sehr geehrter Herr Kollege!

Immer wieder sehe ich mir Ihr Büchlein (1) an und freue mich der vortrefflich klaren Ausführungen. Auch der letzte Abschnitt „Beziehungen zur Philosophie[“] scheint mir vortrefflich. Wenn mir bei diesem Geschäft des Wiederkäuers etwas auffällt, dann sage ich es Ihnen, damit Sie event. in einer neuen Auflage etwas korrigieren.

Die Darlegung über die Nichtgültigkeit der Euklidischen Geometrie auf Seite 33 oben ist irreführend. Man kann nicht sagen, dass in zwei relativ zu einander rotierenden Systemen die Euklidische Geometrie nicht gelte. Sondern es lässt sich folgendes deduzieren: Angenommen es sei das System K ein galileisches, bzw. es gebe ein System K, für welches (wenigstens in einem gewissen Bereiche) die Möglichkeiten der Lagerung praktisch starrer rel. [zu] K ruhender Körper durch die Eukl. Geometrie beherrscht werden, so ist dies sicher nicht der Fall für ein relativ zu K rotierendes System K'. – (Bei dem Beweis spielen also die Systeme K und K' eine ganz verschiedene Rolle.) Daraus wird zunächst geschlossen, dass die Existenz eines Gravitationsfeldes die Gültigkeit d. Euklid. Geometrie ausschliesst (rel. zu K' ist ja ein Feld vorhanden). Endlich schliesst man aus dem Umstande, dass bei genauer Betrachtung Gravitationsfelder überhaupt niemals fehlen, weiter, dass ein Galilei’sches Koordinatensystem für endliche Gebiete in Wahrheit überhaupt nicht existiert, dass also die Euklid. Geometrie in endlichen Räumen überhaupt niemals gilt. –

Der zweite Punkt auf den ich hinweisen möchte, betrifft den Wirklichkeits-Begriff. Ihre Auffassung steht der Machs nach folgendem Schema gegenüber

Mach: Wirklich sind nur Empfindungen

Schlick: Wirklich sind Empfindungen und Ereignisse (physik. Natur).

Es scheint mir nun, dass das Wort „wirklich“ in verschiedenem Sinne genommen wird, je nach dem es von Empfindungen oder von Ereignissen bezw. Thatbeständen in physikalischem Sinne ausgesprochen wird.

Wenn zwei verschiedene Völker unabhängig voneinander Physik treiben, werden sie Systeme schaffen, die bezüglich der Empfindungen („Elemente“ im Sinne Machs) gewiss übereinstimmen. Die gedanklichen Konstruktionen, die die beiden zur Verknüpfung dieser „Elemente“ ersinnen, können weitgehend verschieden sein. Beide Konstruktionen brauchen auch nicht übereinzustimmen bezüglich der „Ereignisse“; denn diese gehören sicherlich zu den begrifflichen Konstruktionen. Wirklich im Sinne von „in der Erfahrung unabweislich gegeben“ sind gewiss nur die „Elemente“, nicht aber die „Ereignisse“.

Bezeichnen wir aber als „wirklich“ das im Raum- und Zeitschema von uns Eingeordnete, wie Sie es in der Erkenntnistheorie gethan haben, so sind in erster Linie zweifellos die „Ereignisse“ wirklich.

Was wir nun an der Physik als „wirklich“ bezeichnen, ist zweifellos das „Zeiträumlich Eingeordnete“, nicht das „Unmittelbar-Gegebene“. Das Unmittelbar-gegebene kann Illusion sein, das Zeiträumlich-eingeordnete kann ein steriler Begriff sein, der nichts zur Aufhellung der Zusammenhänge zwischen dem Unmittelbar-Gegebenen beiträgt. Ich möchte hier eine reinliche Begriffs-Scheidung vorschlagen.

Beste Grüsse von Ihrem

A. Einstein.