Albert Einstein an Moritz Schlick

21. III. 17.

Sehr geehrter Herr Kollege!

Beim nochmaligen Durchlesen Ihres schönen Aufsatzes (1) in den "Naturwissenschaften" finde ich noch eine kleine Ungenauigkeit. Ich teile Ihnen dieselbe mit für den Fall, dass Ihr Artikel anderweitig zum Abdruck käme.

Die auf Seite 184 gegebene Ableitung des Gesetzes der Punktbewegung geht davon aus, dass, im lokalen Koordinatensystem betrachtet, die Punktbewegung eine Gerade sei. Hieraus kann aber nichts abgeleitet werden. Das lokale Koordinatensystem hat seine Bedeutung im Allgemeinen nur im Unendlich-Kleinen, und im Unendlichkleinen ist jede stetige Linie eine Gerade. Die richtige Ableitung geht wie folgt vor: Es kann prinzipiell endliche (materiefreie) Teile der Welt geben, für welche bei passender Wahl des Bezugssystems

ds2 = dx12 + . + . – dx42

wird. (Wäre dies nicht der Fall, so hätte sich das Galilei’sche Trägheitsgesetz und die spezielle Rel. Theorie nicht bewähren können) Für einen solchen Teil der Welt gilt bei dieser Wahl des Bezugssystems das Galilei’sche Trägheits-Gesetz und die Weltlinie ist eine Gerade, bei beliebiger Koordinatenwahl also eine geodätische Linie.

Dass die Weltlinie des Punktes auch sonst eine geodätische Linie sei (wenn keine anderen als Schwerkräfte wirken), ist eine Hypothese, wenn auch eine sehr naheliegende. –

Mit Ihrer Kritik auf S. 178 (Anmerkung) haben Sie Recht. Die Forderung der Kausalität ist eben bei genauem Zusehen keine scharf umgrenzte. Es gibt verschiedene Grade der Erfüllung der Kausalitäts-Forderung. Man kann nur sagen, dass die Erfüllung der allgemeinen R. Th. In höherem Masse geglückt ist als der klassischen Mechanik. Die sorgfältige Durchführung dieses Gedankens wäre vielleicht eine lohnende Aufgabe für einen Erkenntnis-Theoretiker.

Es grüsst Sie herzlich

Ihr

A. Einstein.

PS. Ich sende Ihnen eine neue Arbeit, die einen prinzipiellen Punkt der allg. Rel. Th. behandelt.